Corona, die ITB und ein Fetisch-Hotel in Afrika.

Es ist der 28.02.2020: Ich sitze in meinem Hotel und erfahre über eine Push-Meldung der Internationalen Tourismusbörse, dass sie aufgrund der Corona Pandemie nicht stattfinden kann. Das Gesundheitsamt von Charlottenburg-Wilmersdorf hat die Auflagen drastisch erhöht, so dass sich die Messe Berlin nicht in der Lage sieht, die weltweit bedeutendste Ausstellung für Tourismus durchführen zu können.

Heute, also Ende April 2020 ist diese Entscheidung vollkommen nachvollziehbar. Ende Februar war sie ein Grund zum Augenrollen. Bei mir und all den anderen Gästen des Hotels, in dem ich übernachtete. Die ITB zieht über 10.000 Aussteller aus aller Welt an. Das sind 10.000 Messestände und mindestens dreimal so viele Menschen, die an diesen Ständen arbeiten und ihre Region, ihren Arbeitgeber oder gleich ihr ganzes Land touristisch vertreten.

Sie nennt sich selbst eine weltweite Leitmesse der Tourismusbörse und zieht ein dementsprechend internationales Publikum an. Die Rebellin in mir – die kleine Anarchistin, sollte ich wohl sagen – liebt die ITB. In Zeiten globaler Klimabewegungen wirkt die enthemmte, sorglose Welt der Tourismuswirtschaft wie ein zynischer Kommentar über den Zeitgeist. Ein bestimmter Teil unserer Gesellschaft sucht mit einer an Irrsinn grenzenden Akribie nach Konsum ohne Gewissensbisse und gibt sich ironischerweise bereitwillig dem eklatanten Greenwashing von AIDA, Emirates und Co hin. Carnival Cruises wirbt für seine Kreuzfahrten, die TUI behauptet, sie habe ausgerechnet „mein Schiff“, das schöne Aspen in Colorado versucht, sich auf dem anspruchsvollen europäischen Markt einen Namen zu machen. Brüskierte Amerikaner sprechen in empörtem Ton mit deutschen Skitouristen, denen nicht so ganz einleuchten will, dass man „über dem Teich“ zwar Ski fährt, das Après Ski jedoch nicht ganz so feucht fröhlich ausfällt wie im Alpenland. Cringe.

Tourismusbörsen sind ein Schaulaufen der Nationen und ihrer DMOs, der sogenannten Destinationsmanagementorganisationen. DMOs sitzen in ihren jeweiligen Zielländern und locken Touristen in das von ihnen verwaltete Gebiet. Streng genommen ist selbst das kleine Bürgerbüro im Rathaus meines Nachbardorfes eine DMO, dort liegt schließlich ein Flyer mit den schönsten Wanderwegen der Region aus. Der Tourismus lebt, eine Parallele zur Filmindustrie übrigens, vom Verkauf von Träumen. Alte Hasen der Branche nennen die ITB zuweilen scherzhaft „Internationale Trinkerbörse“ in Anspielung auf die Partylaune der Manager, die jedem Versicherungsagenten auf Incentive-Reise nach Tschechien Konkurrenz machen könnten.

Wie sich herauslesen lässt, ist dieser Fetischblog hier nicht mein Hauptberuf – das ist finanziell nicht realistisch, sogar unmöglich. Er ist ein Liebesprojekt von einer Freundin, mir und einem ehemals Unbekannten, den ich heute zu meinem engsten Freundeskreis zählen darf. Mein Hauptberuf ist der Journalismus. Ich schreibe für eines der wenigen anspruchsvollen touristischen Fachmagazine Deutschlands. Fachmagazin soll heißen: Branchenzeitung mit ökonomischem Fokus. Ich befand mich, aufgrund der zu erwartenden Absage, früher in Berlin als in den zwei Jahren zuvor. Hätte die ITB stattgefunden, wäre ich Besucherin mit Presseausweis gewesen. Nach der Absage war ich rasende Reporterin. Berliner Hotels sind im Zeitraum der ITB voll ausgelastet. Jeder Mensch, der an diesem Abend aufgeregt telefonierend durch sein Hotelzimmer – oder gleich den Flur – stapft, ist ein Touristiker mit einer schlechten Nachricht für den am anderen Ende der Leitung lauschenden Chef.

Ich habe mein Smartphone in der Hand und mache mich auf die Suche nach O-Tönen. Ein Vertreter von Iberostar übernachtet im Nachbarzimmer und beantwortet mir zwischen Tür und Angel ein paar Fragen. Ein Ägypter verweist entschuldigend auf den Pressesprecher seiner Firma, der zum späteren Zeitpunkt ein Statement abgeben werde. Ich sammle Stimmen.

Frau Akeva vom Hotel Succubus

Die interessanteste Stimme dieses Abends hat allerdings niemals den Weg in meinen späteren Artikel gefunden. Sie gehört einer Hotelbesitzerin namens Shauna Akeva. Sie stand im Foyer des Hotels und sammelte kleine Anstecknadeln ein, die sie ihren Mitarbeiterinnen zuvor verteilt hatte. Ich stelle mich vor und frage, ob sie Messebesucherin sei und Lust habe, mir ein paar Fragen zu ihrem Umgang mit der Absage und den wirtschaftlichen Folgen für ihren Arbeitgeber oder ihren Betrieb zu beantworten. Die äußerst freundliche Shauna stimmt mit einem vorsichtigen Lächeln zu.

Die gutaussehende Schwarzafrikanerin erklärt, dass es sich bei dieser geplatzten Messereise um ihren ersten Auslandsaufenthalt handelt. Ich möchte wissen woher sie kommt, doch Shauna weicht der Frage elegant aus und erzählt mir lediglich von ihrer Arbeit. Sie ist die Gründerin und CEO des Hotel Succubus, das sich „in the desert and also by the sea“ befinde. Ich möchte noch einmal wissen in welchem Land, doch ihre Antworten sind dünne Marketingphrasen von „close to the wild heart of africa“ und „a land beneath the blazin‘ sun“.

Sie klagt lieber ein wenig dünnhäutig über die großen Schwierigkeiten, überhaupt einen Platz auf der ITB zu ergattern. Der Zoll habe eine Speise, die sie mir mit Händen und Füßen erklärend als einen Getreidebrei mit Okraschoten beschreibt, beschlagnahmt. Verderbliche Ware. Nun wären die rustikalen Holzschalen an ihrem sandsteinfarbenen Messestand leer gewesen und Shauna Akevas Mitarbeiterinnen – es sind ausschließlich Frauen aus ihrer Heimat – suchten händeringend nach neuen Inhalten.

Und das wortwörtlich, denn die Inhalte ihres Angebots stellen die eigentliche Hürde dar, die Shauna auf dem Weg zur ITB überwinden musste. „Man kommt halt nicht an dieser Convention vorbei“, sagt sie in herrlich flapsigem african-english und meint die pompöse ITB. Befürworter von Shaunas Sache hätten dem Veranstalter sogar Rassismus vorgeworfen, doch die freche Afrikanerin selbst war es, die solche Diskussionen im Keim erstickte. „Da ging es nicht um Rassismus. Da ging es um mangelnde Kommunikation. Was wir machen, machen wir schon immer.“ Die schlanke, afrikanische Selfmade-Woman wirft dem westlichen Konsumenten Janusköpfigkeit vor. „Thailand schämt sich auch nicht, seine Singlereisen anzubieten. Dabei weiß jeder, worum es geht“, sagt sie und spricht unverhohlen eine unbequeme Wahrheit aus.

Shaunas Mitarbeiterinnen unterbrechen unser nur langsam in die Gänge kommendes Gespräch immer wieder. Sie stellen ihr Fragen, möchten wissen wann ein Truck dieses oder jenes Teil ihres nun leider nicht erbauten Messestands abholen solle und ob diese Absage eine Ausgangssperre für alle Menschen bedeute. Der Stand des Hotel Succubus sei klein, weshalb die Einzelteile verstreut auf den Zimmern ihrer Mitarbeiterinnen lägen. „Mehr ist nicht nötig“, sagt Shauna und zwinkert, „und mehr wäre zu teuer.“ Die Hochglanzbroschüren, die mir eine von Shaunas Kolleginnen überreicht, sprechen eine andere Sprache. Türme aus Sandstein, unterbrochen von Glasfassaden, eine riesige Spa- Landschaft. Das Hotel Succubus verwendet die übliche fadenscheinige Hotelkatalogsprache mit „ausgedehnten Stränden“, den immer gleichen „luxuriösen Zimmern mit einheimischem Flair“ und so weiter. Ein wenig „treffen Sie die Ureinwohner“- Romantik ist dabei, sogar wunderbar seicht formuliertes Kauderwelsch über eine urtümliche Gottheit, die das schöne Land um das Hotel schütze. Echte Folklore, aufbereitet für Socken-in-Sandalen-Horst und seine berühmt-berüchtigte Frau: „Ohne Löwen zahl ich nich‘ für de‘ Safari“-Berta. Meine kleine Anarchistin jubelt – herrlich!

Lediglich die ein wenig zu ausgiebige Beschreibung des Spa lässt mich stutzen. Shauna bemerkt meinen verwunderten Blick und bestätigt bevor ich fragen kann: „Ain’t no misprint.“ Es sei kein Druckfehler: Das Spa ist einen ganzen Quadratkilometer groß, verteilt auf mehrere Stockwerke. Ich frage, womit man einen Quadratkilometer Badelandschaft füllt. Shauna seufzt, nennt mich mit der Zärtlichkeit einer afrikanischen Big Mama Darlin‘ und erklärt geduldig: „Unsere Gäste wissen sehr zu schätzen, dass wir uns intensiv um ihren Besitz kümmern.“ Hier hätten bereits alle Alarmglocken in meinem Kopf klingeln sollen. Ich stutze und hake nach, für welche Besitztümer man denn ein Spa brauche.

(Auf Seite 2 geht der Artikel weiter)